Wer ist Georgius Agricola?

GEORGIUS AGRICOLA, geboren 1494 in Glauchau als GEORG PAWER, gestorben 1555 in Chemnitz (Freistaat Sachsen), gilt als „Vater“ der Mineralogie und Begründer der Montanwissenschaften. Als hervorragender Renaissancegelehrter erreichte er überregionale Bedeutung, und noch heute erfährt er weltweit Beachtung.

Sein wissenschaftliches Interesse, gewachsen in der deutschen und der italienischen Bildungslandschaft, war äußerst mannigfaltig und auf viele Gebiete gerichtet: Berg- und Hüttenwesen, Medizin, Pharmazie, Pädagogik, Metrologie, Politik, Wirtschaft und Technik; auch galt es der Vielfalt in Kunst und Kultur. Auf all diesen Gebieten hat AGRICOLA deutliche Spuren hinterlassen, die bis in die Gegenwart führen und uns hohe Bewunderung abringen. Entsprechend vielfältig ist sein wissenschaftliches Œuvre, aus dem vor allem das in viele Sprachen der Welt übersetzte „De re metallica libri XII“ (1556) herausragt. Als umfassend humanistisch gebildeter Gelehrter und kosmopolitischer Geist praktizierte und kultivierte er an der Schwelle zur Neuzeit fächerübergreifendes Denken, ein Denken in Zusammenhängen - „vernetzten Wissensstrukturen“ der Gegenwart entsprechend und damit von hoher Aktualität.

GOETHE bewertete ihn treffend und lädt uns damit ein, Leben und Werk eingehender kennenzulernen: „So bewundern wir ihn noch jetzt in seinen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und neuen Bergbaus, alter und neuer Erz- und Steinkunde umfassen und uns als ein köstliches Geschenk vorliegen. Er ... lebte in der höchsten und schönsten Zeit der neu hervorbrechenden, aber auch sogleich ihren höchsten Gipfel erreichenden Kunst und Literatur ...“

Biographie

Am 24. März 1994 beging die Stadt Chemnitz und mit ihr die wissenschaftliche Welt den 500. Geburtstag des großen sächsischen Humanisten und Gelehrten GEORGIUS AGRICOLA. Als engagierter Wegbereiter von Wissenschaft und Kultur, als profunder Kenner von Bergbau und Hüttenwesen, als Wissenschaftler und Diplomat, schließlich als Chemnitzer Bürgermeister erlangte AGRICOLA überragende Bedeutung und weltweite Anerkennung. Sein Hauptwerk, das 1556 in Basel erschienene Buch „De re metallica libri XII“, wurde in viele Sprachen übersetzt und liegt bisher in über 40 Auflagen vor. Es markiert die Geburt der Montanwissenschaften, also der Lehre von Bergbau und Hüttenwesen, Aufbereitung, Geologie und Mineralogie, jedoch auch den Beginn des Maschinenbaus. Mit seinen hervorragenden Leistungen zählt AGRICOLA zu jenen „Riesen an Denkkraft, Leidenschaft und Charakter, an Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit“, die der Renaissance das ihr so besondere Gepräge verliehen haben. Die großartige Persönnlichkeit, die fast ein Vierteljahrhundert in den Mauern von Chemnitz wirkte und hier ihre wesentlichen Werke verfaßte, nimmt uns in besonderer Weise in die Pflicht, ihr humanistisches und wissenschaftliches Erbe zu bewahren und es mit den Erfordernissen der Zeit in Beziehung zu bringen.

Als Georg Pawer von Glauchau nach Leipzig

In Glauchau, unweit Chemnitz gelegen und zu jener Zeit Hauptort der Schönburgschen Herrschaften, wird GEORG PAWER (Bauer) - so sein bürgerlicher Name - am 24. März 1494 als Sohn eines Tuchmachers geboren. Wie zu jener Zeit üblich, durchläuft er zunächst die einfache Schulbildung: lernt Singen, Schreiben, Lesen und Rechnen, insbesondere jedoch die lateinische Sprache als Voraussetzung für den folgenden Besuch der 1409 gegründeten Universität Leipzig. Grammatik, Logik und Rhetorik - das Trivium im Rahmen der Septem artes liberales - sind die Fächer, die der 19jährige zunächst absolviert. Von seinen Lehrern ist besonders PETRUS MOSELLANUS zu nennen, einer der führenden Renaissancegelehrten und in guter Verbindung mit MARTIN LUTHER, ERASMUS VON ROTTERDAM, JOHANNES REUCHLIN und ULRICH VON HUTTEN. Nach etwa dreieinhalb Jahren erwirbt er den ersten akademischen Grad, den Baccalaureus artium, und verläßt die Universität. Von hier an trägt er den Namen GEORGIUS AGRICOLA - der latinisierte GEORG PAWER.

Lateinlehrer in Zwickau

1518 beginnt ein neuer Abschnitt: AGRICOLA verdient sich nun als Schulmeister für Latein seinen Lebensunterhalt an der renommierten Stadtschule in Zwickau, das zu jener Zeit die „Perle der sächsischen Lande“ genannt wurde und als wichtiges Versorgungszentrum der obererzgebirgischen Bergreviere galt. Bald wird ihm die Leitung der vom Rat eingerichteten „greckische Schul“ (griechische Schule) übertragen, und er verfaßt hier das „Bächlein vom einfachen grammatischen Anfangsunterricht“ für die lateinische Sprache. Diese Erstlingsschrift auf dem Gebiet der Pädagogik ist insofern bedeutsam, als sie in der Art der Vermittlung von Grundkenntnissen neue Wege beschreitet und Aufgaben und Verantwortung des Lehrers klar benennt.

Viel wichtiger gestalten sich jedoch die Beziehungen zu einer Reihe bedeutender Bürger dieser blühenden Stadt, beispielsweise zu Magister STEPHAN ROTH, zu THOMAS MÜNTZER, Prediger an der St. Marienkirche, und zum Lehrer JOHANNES RIVIUS. Der Aufenthalt gibt ihm auch Gelegenheit, den erzgebirgischen Silbererzbergbau sowie die damit verbundenen Probleme von Handel und Ökonomie kennenzulernen.

Ins gelobte Land von Bildung und Wissenschaft

1522 gibt AGRICOLA sein Schulamt auf und geht wiederum nach Leipzig, um sich hier - möglicherweise als Assistent von MOSSELANUS - in den alten Sprachen und der Philologie zu vervollkommnen. Unter dem Einfluß von Professor HEINRICH STROMER VON AUERBACH, einem der bekanntesten Ärzte der Zeit, wendet er sich aber auch medizinischen Studien zu, obwohl die dafür zuständige Fakultät auf die Theorien der Klassiker HIPPOKRATES, GALEN und AVICENNA beschränkt blieb und praktische Heilkunst kaum förderte. Auch die Bekanntschaft mit dem Professor der Medizin ULRICH RÜLEIN VON CALW, vormals Stadtarzt, Stadtapotheker und Bürgermeister von Freiberg, ändert nichts an den gebotenen Entwicklungschancen, so daß sich der fast 30jährige entschließt, nach Italien, also ins „gelobte Land von Bildung und Wissenschaft“, zu reisen, um hier seine Studien fortzusetzen.

Kunst und Literatur, Philosophie und Wissenschaft wie auch technische Meisterleistungen faszinieren den vielseitig Interessierten, und so läßt er sich nach dem langen Weg zuerst in Bologna nieder, um hier Medizin zu studieren. An der altehrwürdigen Universität hat er zudem Gelegenheit, seine Kenntnisse in Latein, Griechisch und Hebräisch zu vervollkommnen - eine entscheidende Voraussetzung für das später folgende Studium der antiken „medizinischen Autoritäten“. 1524 verläßt AGRICOLA Bologna und geht für zwei Jahre nach Venedig, „um bei den Ärzten in die Schule zu gehen und den GALEN Griechisch zu lesen“. Praktische Anatomie und Chirurgie waren hier bereits weit entwickelt, denn während an anderen mitteleuropäischen Universitäten chirurgische Eingriffe an Kranken noch verboten waren, zählten diese wie auch die Sektion von Leichen bei den venezianischen Ärzten bereits zum Standard.

In Venedig findet AGRICOLA auch eine Anstellung in dem berühmten Verlagshaus von ALDUS MANUTIUS, bekannt durch Übersetzung und Drucklegung vieler griechischer Werke. In einem hochkarätigen Team von Fachleuten ist er hier an der griechischen Erstausgabe der Werke des antiken Arztes CLAUDIUS GALENUS (GALEN) - insgesamt fünf Bände mit 2 900 Seiten umfassend - und an der Bearbeitung der Werke von HIPPOKRATES beteiligt. Murano, Florenz, Siena, Neapel, Rom und Padua bilden weitere Stationen dieses ertragreichen Lebensabschnitts. Als Doctor medicinae - Ort und Zeit der Promotion sind leider nicht bekannt - und mit einer Vielzahl an neuen Erkenntnissen und Fakten bereichert, tritt er 1526 die Rückreise in seine sächsische Heimat an.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Zwickau begibt er sich bis zum Herbst 1527 nach Chemnitz; er heiratet hier ANNA MEYNER, die Witwe des Schneeberger Zehntners MATTHIAS MEYNER. Die Suche nach einer Stadtarztstelle im Erzgebirge und ein „glühender Eifer am Studium des Bergbaus“ führen ihn schließlich ins böhmische St. Joachimsthal; damit beginnt eine sehr fruchtbare Periode seines Schaffens.

Stadtarzt und Apotheker in St. Joachimsthal

Das im böhmischen Erzgebirge gelegene Konradsgrün, nach der Entdeckung reicher Silbererzvorkommen im Jahre 1516 bald Sankt Joachimsthal (heute Jachymov) genannt, bietet für AGRICOLA eine neue Perspektive: In der 15 000 Einwohner zählenden Freien Bergstadt, die über 900 gangbare Gruben zählt, übernimmt er ab 1527 das Stadtarzt- und Apothekeramt. Ein Job nach Maß, wie sich zeigen sollte, denn endlich kann er die beim Studium und in Italien erworbenen Kenntnisse praktisch anwenden und sich zudem mit Bergbau und Hüttenwesen, Mineralien und Gesteinen befassen.

Bergbau gab es im Erzgebirge bereits an vielen anderen Orten: seit 1168 in Freiberg (Silber), seit 1241 in Graupen, wenig später dann auch in Ehrenfriedersdorf, Seiffen und Altenberg (Zinn); um 1500 folgten die großen Entdeckung der reichen Silbererzlagerstätten am Schreckenberg, in Breitenbrunn, Marienberg und Schwarzenberg, bei Schneeberg, Jöhstadt usw. Aus vielen Ländern strömten die Bergleute deshalb ins Silberne Erzgebirge, da sie der Faszination des Berggeschreis nicht widerstehen konnten und vermeinten, hier ihr Glück und Reichtum zu finden.

AGRICOLA gerät mitten in die Vielfalt der Probleme und kann sie dank seiner gediegenen Vorbildung souverän bewältigen. Besonders intensiv sind seine Studien „vor Ort“, also im Bergbau, und seine Kontakte mit Berg- und Hüttenleuten. Bald schon verfaßt er darüber einen philosophisch gearteten Dialog mit dem Titel „Bermannus, sive de re metaIlica“. Das Buch, von ERASMUS VON ROTTERDAM hoch gelobt und mit dessen Vermittlung 1530 im Froben-Verlag Basel erschienen, ist zugleich eine Dokumentation über den dortigen Bergbau, denn es beschreibt die im Lagerstättenbereich vorkommenden Minerale und erklärt spezifische Begriffe, wie z. B. Liegendes, Hangendes, Klüfte, Gänge. Erstmals setzt sich AGRICOLA mit der Entstehung der Erze auseinander und versucht, die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten aufzuhellen und in ein System zu bringen. Gegenüber den verkrusteten Auffassungen von Alchemie und Astrologie wirkt diese Leistung geradezu revolutionär. Gleichzeitig offeriert er das Programm seiner künftigen Forschungsarbeiten, in das auch die Wirkungen der Mineralien im Bereich der Medizin einbezogen werden sollen.

AGRICOLA verfertigt in dieser Zeit auch eine Kampfschrift über die Notwendigkeit des Krieges gegen die Türken, die bereits Wien belagert hatten und das Reich und den christlichen Glauben gleichermaßen bedrohten. Vernehmbar appelliert er, vor allem an König FERDINAND I. von Böhmen und alle deutschen Fürsten gerichtet, an patriotische Pflicht und Verantwortung und fordert auf, in Einigkeit die Waffen „mit Leidenschaft gegen einen so ruchlosen Feind“ zu ergreifen. Das 1529 erschienene Buch, bereits 1531 ins Deutsche übersetzt, erfährt weitere sieben Auflagen.

Stadtleybarzt und Bürgermeister in Chemnitz

1531 kehrt AGRICOLA nach Sachsen zurück und läßt sich in Chemnitz nieder. In dieser 4 500 Seelen zählenden Stadt, seit 1357 mit einem Bleichprivileg versehen, bilden Leineweberei und Tuchmacherhandwerk die Haupterwerbszweige, aber es existieren auch zahlreiche Handwerke sowie Saigerhütten und Kupferhämmer. Offensichtlich reizt ihn diese umtriebige Mischung, denn ab 1531 übernimmt er, seiner Qualifikation entsprechend, die Stelle des „Stadtleybarztes“. Die Amtspflichten lassen glücklicherweise reichlich Zeit für Wissenschaft und praktische Studien, er widmet deshalb die folgenden Jahrzehnte der systematischen Aufarbeitung unterschiedlichster Probleme. Im Vordergrund steht zunächst die antike Metrologie, denn die überkommenen Maße und Gewichte sind insbesondere für das genaue Rezeptieren im medizinischen Bereich unentbehrlich. So versucht er, Ordnung in das vorhandene Wirrwarr zu bringen und verfaßt das Werk „De mensuris et ponderibus“. Sehr viel bedeutender sind jedoch die Arbeiten zur Darstellung der gesamten Naturentwicklung, im besonderen zu Bergbau und Hüttenwesen sowie der Vielfalt geologisch-mineralogischer Probleme. Bereits 1546 erscheint in Basel ein fünfbändiger Sammelband, der AGRICOLA als Gelehrten höchsten Ranges über die Grenzen des Landes bekannt macht. Das hierzu zählende „De natura fossilium“ kann als das erste wirkliche Handbuch der Mineralogie angesehen werden, denn es systematisiert die natürlichen Substanzen vollkommen neu in Erden, Gemenge, Steine, Metalle und Gemische und beschreibt zugleich deren medizinische Verwendbarkeit.

Ab 1546 treten AGRICOLAS wissenschaftliche Arbeiten zunächst in den Hintergrund, weil er „auf Veranlassung und Befehl des Herzogs“ erstmals das Bürgermeisteramt übernehmen muß. In dieser Position ist eine Vielzahl neuer Aufgaben zu verantworten: Teilnahme an den Landtagssitzungen, Abschluß von Verträgen, Verwahrung von Urkunden und Siegeln, endlich auch die Vertretung der Stadt in diplomatischen Belangen. In besonderer Weise wird er von Herzog MORITZ, ab 1547 Kurfürst von Sachsen, während des Schmalkaldischen Krieges (1546-1547) gefordert.

Wissenschaftler und Forscher

Trotz großer Belastung im Bürgermeisteramt kann AGRICOLA bis 1549 ein weiteres Werk mit 13 metrologischen und monetarischen Schriften fertigstellen; er leistet damit einen wesentlichen Beitrag, der Unmenge an unterschiedlichen Maßen, Münzen und Gewichten im zersplitterten Europa einigermaßen Herr zu werden. Als sehr viel bedeutender erweist sich jedoch die seit langem geplante Fertigstellung seines Hauptwerkes „De re metallica libri XII“. Er hatte dieses Opus magnum, das aus heutiger Sicht den Beginn der Montanwissenschaften markiert, bereits in St. Joachimsthal angekündigt und deshalb von da an alle wichtigen Quellen über Bergbau und Hüttenwesen bei antiken Gelehrten sowie in zeitgenössischen Dokumenten studiert. Praktische Erkenntnisse ergänzte er im technisch hochentwickelten erzgebirgischen Bergbau, also „vor Ort“, so daß die theoretischen Studien stets verglichen und wissenschaftlich bewertet.